Bundeskongress Kunstpädagogik 2009 – Hallo Welt!?!

Nachdem ich in den Nutzungsstatistiken meines weblogs gesehen habe, dass mehrfach Menschen, die bei Google nach der Stichwortkombination „Sowa“, „Düsseldorf“, „Kongress“, „Kunstpädagogik“ (o.ä.) gesucht haben, hierher verwiesen wurden (eher zufällig, weil irgendwo in diesem blog die o.g. Worte auftauchen), will ich den Suchmaschinen mal semantisch relevanten Input liefern. Ganz offensichtlich gibt es ja ein Interesse. (Außerdem habe ich keine Lust zu warten bis mal wieder die vierteljährliche Fachzeitschrift herauskommt und dann dort und in den 2 oder 3 folgenden Ausgaben möglicherweise eine Diskussion in Zeitlupe sichtbar wird.)

hello-world

Am vergangenen Wochenende fand in Düsseldorf der Bundeskongress der Kunstpädagogik 2009 statt. Dort hat (u.a.) Hubert Sowa einen Vortrag gehalten, der allerlei Aufregung, Widerspruch, Grummlen und stille Bauchschmerzen provoziert hat. Kurz gesagt hat Sowa ausführlich die Polemik wiederholt, die er schon seit einiger Zeit immer mal wieder auf Papier (z.B. BDK-Mitteilungen 1/2008) und Vorträgen (z.B. im Rahmen der Hamburger Ringvorlesung Sommersemester 2008) fachöffentlich gemacht hat, nun aber auf dem Podium, in keynote-Funktion, und ohne irgendeine Gegenstimme (auf dem Podium) und verheerender Weise auch noch unter der mit einiger Tragweite formulierten Überschrift „Kunstpädagogik in einer sich ändernden Gesellschaft“.
In ein ähnlich konservatives Horn stießen übrigens auch Johannes Kirschenmann unter der ebenso tragweiten Überschrift „Die Position der Kunstpädagogik in einer sich wandelnden Schule und Kultur“ („zuviel [sic!!] Orientierung an aktueller Kunst“) und Clemens Höxter in seiner Eröffnungsansprache.

Tunnelblick, mangelnder Rückkanal und Stilfragen
Nun können alle drei (ebenso wie die anderen, aber weitaus harmloseren RednerInnen auf dem Kongress) selbstverständlich sagen, was sie wollen. Das ist nicht der Punkt. Auch ich äußere hier ja meine, also nur eine Meinung. Und sicher halten gar nicht alle die o.g. Vorträge für konservativ und rückwärtsgewandt bzw. diese Attribute nicht für beklagenswert. Problematisch ist aber – insbesondere vor dem Hintergrund der Tradition der Kunstpädagogischen Bundeskongresse der letzten Jahre –, wenn das Podium insgesamt mehr oder weniger in die gleiche Richtung argumentiert und polemisiert und zugleich kein Rückkanal vorgesehen ist. Es war nicht vorgesehen, dass die Plenumsvorträge diskutiert werden. Das mag für Keynotes ein sinnvolles Verfahren sein, aber vernünftige Keynotes geben sich eben üblicherweise deutlich distanzierter und erzeugen eher einen Über- statt hier Tunnelblick auf das Tagungsthema.

Man kann es kurz sagen: Es war genauso, wie viele im Vorfeld befürchtet hatten. Alle Kritik vom Krisengespräch in Hannover (Bering, Burkhardt, Busse, Höxter, Kirschenmann, Niehoff, Schulz, Seydel, Sowa, Uhlig und ich) und davor hat (fast, weil mit Karl Ermert und Wilfried Bos immerhin zwei fachlich (halb-)Auswärtige eingeladen waren) nichts genützt. Es wurden trotzdem jene rückwärtsgewandten Positionen vorgetragen ohne Diskussionsmöglichkeit oder Podium für andere Meinungen (vorletzteres wurde dann zwar doch noch kurz relativ spontan am Abend als „Programmänderung“ eingefügt, aber auch hier zeugten die Reaktionen der Veranstalter auf die Kritik davon, dass man es 1. nicht ernst nimmt und 2. auch eigentlich nicht haben will. Statt dessen habe man gefälligst dankbar zu sein oder könne selber einen Kongress organisieren!)

Gut, die einzelnen Sektionen waren vielfältiger als das Podium, aber dort fand die Demokratie quasi im Geheimen, in Kleingruppen zu 10 bis 20 Personen hinter geschlossenen Türen statt. (Und ehrlich, die Filterkriterien für die Vorauswahl sind ja am Programm auch leicht ablesbar).
Trotz der relativen Vielfalt der Sektionen also: Getragen war die Kongressstimmung von den rückwärtsgewandten kunstpädagogischen Vorträgen. Von der Tradition, dass bei den Kunstpädagogischen Bundes[!!]-Kongressen in München 2003, Leipzig 2005 und Dortmund 2007 (nahezu) alle zusammenkommen, auch die, die abweichende Meinungen haben, dabei sind und Gelegenheit zur Äußerung finden, war definitiv nichts mehr zu spüren. Stattdessen herrschte ein meines Erachtens vollkommen undemokratischer Umgang miteinander und mit den relativ vielen, die, weil sie schon ahnten, was geschehen würde, gar nicht erst da waren oder früher abreisten.

Um es noch einmal klar zu stellen: Es geht mir hier nicht darum, dass da in Düsseldorf eine bestimmte Position vertreten wurde, die mir nicht gefällt. Das bin ich gewohnt. Es geht mir darum, dass nur diese Position auf dem kunstpädagogischen Podium vertreten wurde, das behauptet, einen Bundes-Kongress zu repräsentieren. Das ist wesentlich eine Stilfrage.

Unkonferenzen und Hallo Welt!?!
Da ist man außerhalb dieser offenbaren Parallelwelten inzwischen ganz anderes gewohnt. Auf vergleichbaren Kongressen gibt es neben der zentralen Präsentationsfläche Twitter-Walls, auf denen Kommentare aus dem Publikum (vor Ort im Kongresssaal oder online zugeschaltet von irgendwo auf der Welt) zu lesen sind und so in Echtzeit, noch während des Vortrags in und mit der weltweit vernetzten Community diskutiert werden kann (in der Kunstakademie Düsseldorf gibt es allerdings nicht einmal wlan). Oder der wissenschaftliche Nachwuchs macht sich gleich selbständig und unabhängig von überkommenen Tagungsritualen seiner Vorgängergeneration und trifft sich (aus Perspektive der medienkulturtechnisch nicht mithaltenden „heimlich“) zu Barcamps und Unkonferenzen, um sich nicht mit der „Altgier“ und den unangebrachten Machtspielchen der Expertokratie aufzuhalten.

In solchen Settings wird sehr, sehr deutlich, dass – um es mit Dirk Baecker zu sagen – „jede Realitätsebene, auf die man sich einlässt, nur eine Perspektive unter anderen Perspektiven erschließt und daher die Existenz der anderen Perspektiven so mit ins Kalkül nehmen muss, wie man das von jeder »Praxis« erwartet.“ (Studien zur nächsten Gesellschaft, S. 143)
„Hallo Welt!?!“ möchte man da mal lauthals rufen. Liebe Kunstpädagogik, mach mal die Augen auf! Wir sind mitten im 21. Jahrhundert. Die Zeit für ernst gemeinte Theaterdiskurse ist abgelaufen. Das funktioniert nicht mehr. Wir bewegen uns im Horizont und Kontext einer digital vernetzten Weltgesellschaft. Wir müssen uns orientieren an den Prinzipien des ins real life gestülpten Cyberspace: der Verbindung aller mit allen, der Schaffung virtueller Gemeinschaften, der kollektiven Intelligenz und der Medialisiserung radikaler Basisdemokratie.

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Als Hausaufgabe dazu noch einmal Vilem Flussers Kommunikologie (2000, S. 21ff): Der Theaterdiskurs empfiehlt sich, wenn es darum geht, gesichertes Wissen im Modus one-to-many zu verteilen und damit (z.B. in der nächsten Generation) zu bewahren. Kreis- und Netzdialoge hingegen sind vor allem geeignet, neues Wissen zu produzieren und zu synthetisieren. Der Netzdialog ist die archaischste Form der Kommunikation: Klatsch, Tratsch, Flurfunk, Schulhof, Gerüchteküche und Internet sind typische Beispiele. Wenn man also Wissen konservieren (und die Bildung von Neuem verhindern) will, wählt man am besten den Theaterdiskurs.

Zur Abwechslung mal nach vorne?
Erschreckend finde ich v.a. den Eindruck, dass man auf dem Düsseldorfer Podium insbesondere von der neuen Generation nichts wissen wollte. Die Polemik richtete sich zwar nicht ausschließlich, aber überwiegend gegen Positionen und Ideen, die die jüngere Generation – oft unter Bezug auf Kunst jüngerer Generation – in die Fachdiskussion gebracht hat. Und ganz kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da so ein Old-Boys-Club am Werk ist, der noch irgendetwas aus Vergangenheiten auszutragen hat, mit denen ich (und erst recht die Jüngeren) nichts mehr zu tun habe.

Es waren auch einige Studierende der Kunstpädagogik da. Das spricht – so denke ich – sehr für deren Interesse am Fach. Viele, die erstmalig an so einem Kongress teilnahmen, waren regelrecht entsetzt. Da muss man wirklich Angst haben, dass der Nachwuchs abspringt …

Der nächste Kongress sollte vielleicht mal von einer anderen, jüngeren Generation von Kunstpädagogen aus Schule und Hochschule veranstaltet und inhaltlich bestimmt werden – in der Hoffnung, dass sich diese auch bei unterschiedlichen Auffassungen in der Sache im Umgang miteinander zu benehmen weiß (und auch ein wenig mehr strategisches Geschick hat, was Außenwirkungen angeht). So kann es jedenfalls nicht weitergehen.

PS: Liebe KunstpädagogInnen, die meisten von Euch und Ihnen sind das, meiner Erfahrung nach, noch nicht gewöhnt, aber hier ist es nicht nur möglich, sondern sogar ausdrücklich erwünscht, dass Sie Kommentare, andere Meinungen, Diskussionsbedarfe äußern. Feel free to comment!!!